Peter Aderhold
Luther
2003 : Opernhaus Erfurt
Presse/Press
Eröffnungspremiere anlässlich der Eröffnung des Theaters Erfurt am 14. September 2003
Wider das monosexuelle Singspiel
Karoline Gruber hat dazu Bilder erfunden, die Dr. Martin Luthers Kämpfe und Krämpfe, sein Sinnen und Minnen genauso umstandslos in die Gegenwart transportieren… Zu Anfang werden, höchst wirkungsvoll, gigantische Orgelpfeifen durch eine virutelle Atom-Explosion in Raketentrümmer verwandelt, was bedeutet: Wir befinden uns in unruhigen Zeiten, heute wie damals… So beginnt das Stück auf der Wartburg, wo der Doktor sich zwischen besagten Orgelfragmenten wälzt, den Satan allenthalben wittert und im paranoiden Wahn die Stimmen seiner Gegner und seiner Anhänger hört… Sein Famulus bringt ihm einen Schuhkarton voller Beruhigungsmittel und ein rosa Billett … Während draußen der bilderstürmerische Pfarrer Karlstadt die Bauern aufhetzt, sehen wir die Nonnen mit zwei Verbündeten Luthers mehr als turteln, während Cranach, Urbild des Künstlers im buntbefleckten Kittel, sich in einer Spritztechnik à la Jackson Pollock übt. Unter einem roten Neonkreuz tüftelt der begnadete Bibelübersetzer am Text des Hohen Liedes, dieweil unter den übrigen Gästen eine Debatte über die Liebe und die undankbare Rolle der Frau entbrennt… Am Ende hat der Pöbel die Oberhand…
DAS OPERNGLAS
Vorgeführt wird der Sinnenmensch Dr. M. Luther ( Johannes M. Kösters, von eindringlicher Gestaltungskraft in Stimme und Figur ) in all seiner Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit. Dass sich Regisseurin Karoline Gruber dabei im Analogieschluss von Gegenwartsbezügen leiten ließ, erscheint nur konsequent. Ein üppig ausgestattetes Bühnenbild ( Hermann Feuchter ) mit zerborstenen Orgelpfeifen, das im Schlussbild sich auch dank einer vorzüglichen Lichtregie in eine monströse Lagerstätte für ausgediente Raketen “verwandelte”, sprach für die Umsetzungskraft dieses Teams.
Kelly God ( mit reinem, glänzenden Sopran ) als Katharina von Bora und Albert Pesendorfer ( in seinem großen Künstler-Monolog einer der Höhepunkte ) als Lucas Cranach brachten die Problematik auch der privaten, ganz weltlichen Sorgen auf den Punkt. Reinhard Becker ( Pfarrer Kasper Glatz ), Rosamund Cole ( Ave von Schönfeld ) und Alexandra Kloose ( Margaretha von Schönfeld ) trugen gleichfalls überzeugend dazu bei, die spannendste Szene des Abends zu einem erschreckenden Abbild der inneren und äußeren Verfassung von Menschen in Umbruchzeiten zu machen.
DRESDNER NEUESTE NACHRICHTEN – Opern-Einstand mit künstlerischem Wagemut
…die zweistündige Oper “Luther” ist klassisch besetzt, streichersatt und vollklingend instrumentiert, ohne sich zwanghaft auf originelle, minimalistische oder aufpercussionierte Neutönerei zu kaprizieren… den mit Thüringen eng verbundene Reformator vor allem als einen Menschen zu zeigen, der sich der umwälzenden Macht seiner Worte zwar bewusst ist, der aber auch vor den Erschütterungen der weltlichen Ordnung zurückschreckt, die er selbst ausgelöst hat und sich dem Aufstand gegen die “Obrigkeit” vehement verweigert. Regisseurin Karoline Gruber und ihr Ausstatter Hermann Feuchter haben dafür eine eindrucksvolle, bühnenfüllende Metapher gefunden. Symbolträchtig und theatereffektvoll explodiert gleich am Anfang eine Riesen-Orgel. Am Ende, wenn Luther mit Katharina in ein gemeinsames Haus zieht, sind die Orgelpfeifen wie Waffenschrott aufgetürmt und der Pulverdampf der Kriege, die dem Schlag der Worte Luthers gegen die festgefügte Macht in der Geschichte noch folgen sollten, hängt in der Luft wie vorher die brennenden Rahmen des Bildersturms zu Wittenberg. Karoline Gruber hat … handfest drastisch, also lutherisch, inszeniert, doch die Grenzen der auch im Text anklingenden Sprachgewalt nicht noch zusätzlich durchbrochen. Es bleibt eine Künstleroper von Lucas dem Maler und Martin dem Übersetzer und Reformator und auch von Katharina der Geflohenen. In modernen Kostümen, fern jeder Reformationsfolklore und doch auch historisch. Raumfüllend und die fabelhafte Technik vorführend mit Detailzeichnung.
In der klug gebauten, synchronen Ensembleszene des dritten Bildes etwa: Gleichzeitig porträtiert da Cranach Katharina (hier natürlich als Aktionsmaler, der die Farbe nur so auf die Leinwand klatscht), während Luther an der Wand nebenan, auf seinem Gerüst, das Hohelied Salomos übersetzt. Zu deren Füßen, im angedeuteten Künstlerchaos, fallen Pfarrer Glatz, Baumgärtner und zwei mit Katharina geflohenen Ex-Nonnen in einer Art übereinander her, bei der Flaschendrehen mit Ausziehen noch das harmloseste ist.
DIE WELT – Das neue Erfurter Opernhaus eröffnete mit Peter Aderholds Auftragsoper “Luther”
…The day after also, die Bühne öffnet sich, man sieht eine irre Skulptur aus Orgelpfeifentrümmern, die silbrig glänzend, spitz und gefährlich wie Mittelstreckenraketen in den Raum ragen. Die Pfeifen, zum Lobe Gottes erschaffen, sind zu Relikten eines finalen Krieges geworden. Am Boden liegt Luther und ringt mit dem Teufel, während seine Anhänger und seine Gegner in zwei feindlichen Chören gegeneinander ansingen. ..So weit so gut humanistisch. Peter Aderholds Vater Egon hat ein deftig-kerndeutsches Libretto geschrieben, dessen Sprache manchmal sehr komisch mit dem in eine fantastische Gegenwart gehobenen Bühnengeschehen kontrastiert. Die Musik, durchweg auf der sicheren Seite des Tonalen, folgt weithin dem Duktus eines gedehnten Sprechgesangs. Vor allem im ersten Bild, das mit der Orgelpfeifen-Raketen-Skulptur des Bühnenbildners Hermann Feuchter Geist und Sinne des Zuschauers kraftvoll anspricht, schaukelt sie das Libretto eher gemächlich über die Zeit. Aber Tempo und Dramatik steigern sich. In den Szenen im Cranach-Haus gelingen wunderbare musikalische Verdichtungen, die den Singsang durch gesangliche Glanzlichter unterbrechen. Große Komik erreicht das Stück, wenn die Freunde Luthers und die drei Nonnen darüber räsonieren, was Männer und Frauen voneinander erwarten, während der Meister sich mit einer Übersetzung des Hohen Liedes Salomons abmüht. Alles in allem also: Ein ordentliches Stück Musiktheater haben die beiden Aderholds und die Regisseurin Karoline Gruber abgeliefert … Theater für und nicht gegen das Publikum.
OPERNWELT
Karoline Gruber und ihr Ausstatter Hermann Feuchter lassen gleich zu Anfang symbolträchtig und theatereffektvoll eine Riesen-Orgel explodieren und bleiben dann bei dieser bühnenfüllenden Metapher. Am Ende, wenn Luther mit seiner Katharina in ein gemeinsames Haus zieht, sind die Orgelpfeifen wie Waffenschrott aufgetürmt, und der Pulverdampf der Kriege, die dem Schlag der Worte Luthers gegen die festgefügte Macht in der Geschichte noch folgen sollten, hängt in der Luft. So wie vorher die brennenden Rahmen des Bildersturms zu Wittenberg. Gruber hat handfest drastisch, also lutherisch, inszeniert… Es bleibt eine Künstleroper von Martin dem Übersetzer und Reformator, von Lucas dem Maler… In modernen Kostümen und doch auch historisch wird raumfüllend die fabelhaft funktionierende Technik vorgeführt und mit intelligenter Detailzeichnung etwa die synchrone Ensembleszene des dritten Bildes gebaut. Gleichzeitig portraitiert da Cranach Katharina ( hier als Aktionsmaler, der die Farbe nur so an die Wand klatscht), während Luther an der Leinwand nebenan, auf seinem Gerüst das Hohelied Salomons übersetzt. Zu beider Füßen, im angedeuteten Künstlerchaos, fallen Pfarrer Glatz, Baumgärtner und zwei mit Katharina geflohene Ex-onnen in einer Art übereinander her, die beim Flaschendrehen mit Ausziehen wohl die Derbheiten der Lutherzeit in heutige Künstlerklischees übersetzen soll.
MDR
… DIE WELT ist aus den Fugen geraten. Luthers Kopf ist “voll von Satansgebell”, er hat die Kirche gespalten, aber im Namen der Gewalt will er kein Volkstribun sein, er predigt Ordnung: “Nicht geheilt hab ich DIE WELT. Ich hab sie geteilt”, singt ein Luther (Johann M. Kösters), der Seelenstress hat und kein Held ist. Regisseurin Karoline Gruber und Hermann Feuchter (Bühne) haben dafür starke Bilder gefunden: Explosionen erschüttern die Szene, zerbeulte Orgelpfeifen liegen herum, später werden sie gestapelt wie Granathülsen; mittendrin ein verletzter Luther, der Medikamente braucht. Lucas Cranach (vorzüglich Albert Pesendorfer) schüttet Farbeimer auf die Leinwand wie Action Painter Pollock, übermalt aber aus Angst vor den puristischen Bilderstürmern alles wieder schwarz.