Jean-Philippe Rameau
Dardanus
2004: Oper der Stadt Bonn
Presse/Press
Wie man Hochkulturen herunterlädt
Karoline Gruber untersucht Rameaus Oper Dardanus in Bonn auf ihren Gebrauchswert
…den Gefahren solchen Popularisierens, die gerade der feingliedrigen französischen Barockoper gröblich zusetzen können, entgingen Gruber, Seipel, der Bühnenbildner Kleber und der Choreograph Camus mit Fingerspitzengefühl und Vertrauen in die Musik. So fügte sich der Schuhplattler dem Barocktanzrhythmus und bildete zugleich in seinem stupiden Bewegungsraster fast zwanghafte Stereotypen einer Massenkultur ab. Dies passte seinerseits zum militärischen Drill am phrygischen Königshof: im zackigen Zurechtzupfen Ihrer Jacken werden König Teucer und sein Adjutant Anténor auch im Privatleben noch zu identischen soldatischen Automaten. Ebenso mechanisch ist man im Land Phrygien auf das Töten von Tieren und Menschen eingestellt…
…barocke Pracht übersetzt die Regie in manchmal grelle, doch immer sinnliche Reize, mit Anspielungen auf barocke Reiz. So agieren Venus und ihr Gefolge in die Perücken und Gewändern wie lebendig gewordene Porzellanfiguren. Zauberer Ismenor schwebt, transvestitisch als Blondine in Abendrobe, auf einem geflügelten Schnörkelwagen mit rasenden Rädern hernieder und veranstaltet seine Zauberszene als knallbunte Popshow fürs Fernsehen: ironisches Licht fällt auf barocke Bühnenmagie. Die oft verblüffende Theatermechanik der Zeit ersteht neu im Spiel auf- und niedergleitender Wände und Soffitten, Räume verändernd und entgrenzend. In Sturm beim Kampf mit dem Ungeheuer scheint die ganze Bühne aufzubegehren: DIE WELT ist so anschaulich aus den Fugen geraten, dass man das verwüstende Scheusal, das Zeus als Strafe für die gefangenname seines Sohnes Dardanus schickte, gar nicht vermisst.
…In Grubers griffiger Personenführung verkörpert sich der typologisch abstrakte wie der expressive Anteil der barocken Opernästhetik…
FRANKFURTER RUNDSCHAU – Ungeheuer und Pailletten
…auf Beschaulichkeit schielt der gegenwärtige Intendant des Bonner Theaters, Klaus Weise, wahrlich nicht. Dann dürfte schon Johann Kresnik vor sein – im bot das Theater der früheren Bundeshauptstadt künstlerische Heimstatt, nachdem die gegenwärtige ihn für entbehrlich hielt. Insofern verwundert es auch nicht, dass Weise für eine Barockinszenierung Karoline Gruber als Regisseurin verpflichtete, die sich für solche Wiederbelebungsexperimente mit ihrer Inszenierung von Il Mondo della Luna in Innsbruck und Berlin sowie dann vor allem mit ihrer Bühnenfassung von Monteverdis L’Incoronazione di Poppea in Hamburg empfohlen hat.
…Vor allem aber baut Gruber darauf, dass die barocke Oper auch dann als höfische Unterhaltung gedacht war, wenn sie mythologische Ernstfälle behandelte. In den fünf Akten von Dardanus geht es immerhin um die Befindlichkeit der Königstochter Iphise, die zwischen ihrer Liebe zum Anführer der Feinde, dem Jupitersohn Dardanus und der Pflicht gegenüber dem königlichen Vater hin und her gerissen wird und sich gleichwohl vehement wehrt. Vor allem gegen den mit grotesk grinsenden Masken zur Ballettmusik stampfenden kriegerischen Geist, dem sich der vorgesehene Bräutigam Anténor und König Teucers in ihrer Lodenbiederlichkeit fühlen. Mechthild Seipel zwängt die Personage denn auch in bajuwarische Lederhosen zur gepuderten Perücke, verordnet Strapse unterm Streif und steckt den Helden in Jeans und die T-Shirt so wird die Zeitenbrücke geschlagen.
Es ist alles in allem eine flotte, unterhaltende, weniger auf unerbittlichen Tiefgang als auf die Erinnerung an barockes szenisches Feuerwerk zielende, straff erzählte Geschichte geworden.